Sabine Heuck

Tauche auf den Grund

Text von Merle Kröger

Sabine Heuck ist eine Künstlerin, die die Welt durch sich hindurchfließen lässt. Dabei entstehen Bilder, als würde man im Vorbeigehen zwischen lauter Häusern oder Bäumen plötzlich einen Blick in die Weite erhaschen. Fragile Momentaufnahmen, in denen sich Leichtigkeit und Tiefe verbinden.

Sabine und ich bezeichnen uns als homöopathische Cousinen, eigentlich sind wir nicht verwandt, aber wir gehören zur selben Familie. Wir sind, so sagt man, miteinander aufgewachsen. Das Ganze fand statt in einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein, ein Schloss, eine Fußgängerzone, hinter jedem Haus ein See. Ihr Elternhaus hat einen Garten, der uns als Kindern unendlich und verwunschen erschien. Ein schmaler Weg führt zu einem Steg, der in den See reicht. Über der Insel kreisen Fischadler. Gänseblümchen, der Geruch von frisch gemähtem Gras, das in der Sonne trocknet. Wir waren die Kinder von Bullerbü. Wenn ich versuche, meine ersten Erinnerungen wachzurufen, höre ich einen Ton: ihr Lachen! Kurz darauf spüre ich eine Energie, die knistert und alles elektrisiert, ihre Umgebung und die Menschen darin auch. Es fühlt sich wie ein Privileg an, in ihrer Nähe zu sein, weil mit ihr alles eine Spur intensiver wird - die pralle Explosion des Frühlings, die gleißende Sommerhitze, die Fahlheit des Herbstes und die glitzernde Eisigkeit des Winters.

Sabine Heuck hat sich mit der heilen Welt von Bullerbü nicht zufriedengegeben. Sie wollte, konnte, musste immer hinter die Dinge blicken. "Tauche auf den Grund", heißt es in einem Text von ihr, der sich über einer Weltkarte langsam eindreht, bis man nicht mehr weiß, ob der Text kleiner wird oder die Welt größer. Bis heute gelingt es uns nicht, zusammen auf einem Bootssteg zu sitzen, der Sonne beim Untergehen zuzusehen und dabei nicht komplexeste globale Probleme zu wälzen, uns in dystopische Abgründe zu stürzen oder makabre Witze reißen. Ihr schwarzer Humor ist legendär, doch er schlägt nie in Zynismus um.

"Mach` das Gerade rund", lese ich weiter mit verdrehtem Hals, dem kreiselnden Text folgend. Manchmal geschehen einem merkwürdige Dinge mit ihr, dann knistert es so stark, dass sich die Realität verbiegt. Dann fährt eine Metro samt Insassen aufs Abstellgleis. Deutsch-thailändisches Karaoke-Battle, Sylvester in Berlin. Lauter Gesang tönt aus dem Aufzug eines Seniorenheims. Liebende, die einander längst verloren glaubten, stehen plötzlich voreinander. Sie nimmt diese verbogene Realität gelassen zur Kenntnis, es ist ja nur eine unter vielen.

Geht nach Hause, schließt die Tür hinter sich.
Malt.
Schreibt.
"Bilde einen Kreis".

Niemand kann dauernd durchlässig sein, ein solcher Mensch würde sich irgendwann auflösen. Also haben die Zivilisationen Mechanismen erfunden, die uns Grenzen setzen, Regeln, die wir befolgen, Arbeitsabläufe, die uns erden, wie Heißluftballons, die man mit Leinen am Boden fixiert, damit sie nicht wegfliegen. Nur wenige Menschen wagen es, die Leinen ab und an zu kappen und dennoch die sichere Landung zu schaffen. Sabine Heuck ist eine Pionierin der geistigen Luftfahrt. In ihren Bildern steckt eine Ahnung davon, was sie fühlt und sieht, wenn sie durch die Atmosphäre schwebt und das Leben auf der Erde betrachtet.

Merle Kröger, April 2016
www.merlekroeger.de